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28. Juli 2020

Ein Interview mit dem neuen Vorsitzenden der Fachkommission Bautechnik Dipl.-Ing. Martin Rücker

Zum 1. Juli 2020 übernahm Martin Rücker den Vorsitz der Fach­kommission Bautechnik der Bauministerkonferenz.

Der 48-jährige Bauingenieur bringt konkrete Vorstellungen mit, wie er die Arbeit und Zusammenarbeit des Gremiums künftig gestalten möchte. Das DIBt-Newsletter-Team sprach mit ihm über Ziele, anstehende Heraus­forderungen und prägende Erfahrungen. Das Gespräch führte Carmen Holzwarth.

Carmen Holzwarth: Herr Rücker, Sie haben zum 1. Juli 2020 den Vorsitz der Fach­kommission Bautechnik, kurz FK Bautechnik, übernommen. Herzlichen Glückwunsch.

Martin Rücker: Vielen Dank!

Können Sie für unsere Leserinnen und Leser kurz zusammenfassen, wofür dieses Gremium zuständig ist und wie es einzuordnen ist?

Die FK Bautechnik ist Teil der Bauministerkonferenz, also der Arbeitsgemeinschaft der für Städtebau, Bau- und Wohnungswesen zuständigen Minister und Senatoren. In dieser haben sich die Länder­ministerinnen und ‑minister schon vor vielen, vielen Jahren zusammengeschlossen, um länderüber­greifend Themen zu bearbeiten. Hintergrund ist, dass das Bauordnungsrecht Länderrecht ist. Die Bundesländer sind also frei, eigene Regelungen zu erlassen. Es gibt aber – nicht erst seit heute – Themen, bei denen es sinnvoll und klug ist, gemeinsame Lösungen zu finden.

Unter der Bauministerkonferenz sind zahlreiche Gremien angesiedelt. Die FK Bautechnik ordnet sich – neben der FK Bauaufsicht und anderen Fachkommissionen – zwei Ebenen unter der Bauminister­konferenz ein, und zwar unter dem ASBW, dem Ausschuss für Stadtentwicklung, Bau- und Wohnungs­wesen. Und wie der Name „Bautechnik“ schon verrät – ist sie insbesondere für die bautechnischen Belange zuständig, z.B. für die Analyse von Schadensfällen.

Der FK Bautechnik fällt zudem die federführende Rolle bei der Erarbeitung der MVV TB, der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen zu, die die abgestimmte Grundlage für die Länderverwaltungsvorschriften Technische Baubestimmungen bildet.

Der FK Bautechnik stehen zudem Forschungsgelder zur Verfügung, um für alle Bundesländer gemeinsam Untersuchungen zu unterschiedlichen bauaufsichtlich relevanten Themen in Auftrag zu geben. Aktuell geht es da einerseits um die Digitalisierung im Bauwesen. Andererseits laufen gerade mehrere Forschungsvorhaben zu sicherheitstheoretischen Überlegungen. Letztere werden derzeit auf europäischer Ebene neu vorangebracht. Da wollen wir fundiert und auf Augenhöhe mitreden können. Die Erkenntnisse aus diesen Vorhaben können letztlich auch in Normen, Richtlinien und technische Anleitungen einfließen.

Sie übernehmen den Vorsitz der FK Bautechnik von einem verdienten Vorgänger, Herrn Dr. Scheuermann aus Baden-Württemberg. Welchen Rat hat er Ihnen mit auf den Weg gegeben?

(Lacht.) Immer gut vorbereitet zu sein. Er sagte mir, bevor er Vorsitzender wurde, hätte er das ein oder andere Thema zur Vorbereitung auch mal an seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter delegiert. Nach der Übernahme des Vorsitzes hat er sich auf jeden Tagesordnungspunkt umfassend vorbereitet. Das ist wichtig, um verschiedene Lösungen schon einmal in Gedanken durchzuspielen – wo es ggf. Wider­stände geben könnte, wo man Konsens erzielen kann und wie ein Kompromiss aussehen könnte. Ja, und er riet mir, da entsprechend gut vorbereitet zu sein.

Werden Sie seinen Rat berücksichtigen?

Auf jeden Fall! Schließlich habe ich in den Sitzungen erlebt, wie wertvoll diese Vorbereitung war.

Welche Ziele haben Sie sich für die neue Rolle gesetzt?

Zunächst ist mir der inhaltliche Zusammenhalt der FK Bautechnik wichtig. Wir sind allesamt Ländervertreter und Ländervertreterinnen im Bereich der Bautechnik und sollten als solche gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Gerade Verhandlungen mit Europa und mit dem Bund verlangen oft sehr kurzfristige Entscheidungen. Die Entwicklungen im europäischen Bereich sind zurzeit sehr dynamisch. Im Green Deal der Europäischen Union – von dem schon verschiedentlich in der Presse zu lesen war – ist z.B. als ein Unterpunkt festgehalten, dass die Bauproduktenverordnung novelliert werden soll. In diesem Kontext ist es für mich und meine beiden Stellvertreter wichtig, von der FK Bautechnik einen Vertrauensspielraum zu bekommen, in dem gehandelt werden kann, ohne dass weitere Rücksprachen erforderlich sind. Dafür braucht man ein Fundament, eine Vertrauensbasis.

Ich bin froh, dass ich in der aktuellen Situation gleich zwei kompetente Stellvertreter habe, Herrn Plietz aus Nordrhein-Westfalen und Herrn Dr. Hechtl aus Bayern. Ich habe den beiden schon angekündigt, dass ich sie sehr in Anspruch nehmen werde, um die Arbeit auf mehr Schultern zu verteilen. Persönlich werde ich mich besonders im Rahmen des europäischen Bauproduktenrechts einbringen, zumal ich seit September 2019 Bundesratsvertreter in der EU-Ratsarbeitsgruppe Technische Harmonisierung bin.

Darüber hinaus sehe ich weitere große Themen auf die Fachkommission Bautechnik zukommen, die wirkliche Langläufer sind, uns also noch lange und intensiv beschäftigen werden.

Da ist zunächst das energieeffiziente Bauen. Stichwort: Klimaschutz. Wir sind hier zwar schon gut vorangekommen, aber der größere Teil der Strecke liegt noch vor uns. Einen klimaneutralen Gebäude­bestand bis 2050 halte ich für machbar. Aber nur wenn wir es konsequent angehen. Es ist eine Herkules­aufgabe.

Das nächste große Stichwort ist der Gesundheitsschutz. Dabei geht es um die Belastung der Innenraumluft. Ein Thema, das von uns Ingenieuren oft eher am Rande betrachtet wird. Hier sehe ich etwas auf uns zuwachsen. Die Liste der Inhaltsstoffe, die in Bauprodukten verwendet werden und aus ihnen austreten können, wird länger und länger. Auch bei Ihnen am DIBt hat einmal ein kleines Referat angefangen, sich mit diesem Thema zu befassen, inzwischen bräuchte man wohl eher zwei. Und auch Themen, von denen man glaubte, sie gehörten längst der Vergangenheit an – wie Asbest zum Beispiel – „ploppen“ immer wieder auf.

Und dann das ganz große Thema Nachhaltigkeit/Ressourcenschutz, das im Moment auf allen Ebenen behandelt wird. Kein anderer Wirtschaftszweig ver- oder gebraucht so viele Primärressourcen wie das Bauwesen, insbesondere wenn man den Tiefbau einbezieht. Doch die Primärrohstoffe – wie Sand oder Kies – werden immer knapper und damit immer teurer. Zudem sind die Deponieflächen begrenzt und Genehmigungen für neue werden kaum mehr erteilt. Das heißt, der Druck Sekundärbaustoffe bereitzustellen nimmt zu. Diesen Prozess der Kreislaufwirtschaft müssen wir begleiten, und nicht nur begleiten, sondern voranbringen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass diese Sekundärrohstoffe als gleichberechtigte Produkte in den Markt gelangen können.

Wie lässt sich das umsetzen?

Leider muss ich gleich sagen, dass es Grenzen gibt. Zumindest im Moment kann man nicht jeden Primärbaustoff durch einen gleichwertigen Sekundärbaustoff ersetzen. Die Leistungsfähigkeit der fraglichen Produkte muss vollumfänglich gewährleistet sein, z.B. durch Zulassungen und Zertifizierung­en. Unter dieser Voraussetzung müssen Sekundärrohstoffe dann aber auch als gleichwertig angesehen werden. Ich betone das deshalb so, weil eine solche Gleichwertigkeit in der neuen Mantelverordnung, die derzeit von der Bundesregierung befördert wird und im September im Bundesrat vorgestellt werden soll, noch nicht vorgesehen ist. Dort ist im Moment noch geplant, dass der Sekundärrohstoff nicht aus dem Abfallrecht entlassen wird. Diesen Rohstoffen haftet also immer noch der Makel des Abfalls an, was ich für nicht förderlich halte.

Das heißt, das erste wäre, Baustoffe, bei gleicher Leistung auch als gleichwertig anzuerkennen. Zweitens müssten, damit die Sekundärrohstoffe im Massenmarkt ankommen, parallel die Primär­rohstoffe schlechter gestellt werden – das aber natürlich rechtssicher. Das könnte zum Beispiel über Nachhaltigkeitsanforderungen in Vergabeverfahren oder eine CO2-Bepreisung erfolgen. Das ist also der zweite Hebel, mit denen wir die Sekundärrohstoffe im Markt verankern können.

Jetzt sind wir fachlich schon sehr tief eingestiegen. Vielleicht noch ein paar allgemeinere Fragen. Was schätzen Sie besonders an der Arbeit und Zusammenarbeit in der FK Bautechnik?

Das kann ich sehr persönlich beantworten. Die obersten Bauaufsichten sind in vielen Ländern personell sehr dünn aufgestellt. Als ich 2015 die Leitung des Referats Bautechnik, Bauwirtschaft, Vergabewesen in Schleswig-Holstein übernahm, habe ich mich deshalb sehr schnell mit den Länderkolleginnen und ­Länderkollegen in der FK Bautechnik sowie dem DIBt vernetzt. Der FK Bautechnik gehören neben den Vertretern der Bundesländer als Ständiger Gast auch das DIN und der Bund an. Das heißt, es findet hier ein hochqualifizierter Austausch statt, der sehr viel wert ist. Und sehr gut funktioniert.

Die Corona-Zeit hat viele Arbeitsabläufe und Prozesse verändert, auch in den Gremien des öffentlichen Dienstes. Was davon möchten Sie beibehalten und was am liebsten schnell wieder zurückdrehen?

(Lacht.) Vor Corona gehörte ich eher zu denen, die argumentierten, dass man sich doch nicht jedes Mal persönlich treffen müsse. Das kostet Geld, das kostet Zeit und ist nicht gut für die Umwelt. Von daher war ich ein großer Anhänger von Video- und Telefonkonferenzen. Inzwischen habe ich aber auch deren Grenzen erlebt.

Die Video- und Telefonkonferenzen, an denen ich teilnehme, laufen alle sehr diszipliniert ab. Das bedeutet aber auch, das etwas wegfällt: Nebengespräche in den Pausen, kurze Auszeiten, in denen sich Grüppchen bilden, die informellen Begegnungen der Teilnehmenden am Vorabend der Sitzung. Das ist etwas, das man nicht in die digitale Welt "rüberholen" kann. Dennoch bin ich überzeugt, dass diese informellen Formate unglaublich wichtig sind, weil in solchen Zusammenhalt und Vertrauen wachsen.

Die zweitägigen Sitzungen der FK Bautechnik künftig digital durchzuführen wäre zwar technisch möglich, aber das sollte ein Notbehelf bleiben. Telefon- und Videokonferenzen können die Arbeit der FK Bautechnik allerdings unterstützen, z.B. wenn sie für zusätzliche kurze, themenbezogene Absprachen mit wenigen Diskussionspartnern genutzt werden.

Sie haben uns in Vorbereitung auf dieses Gespräch eine ganze Liste mit Themen gesendet, die Ihnen am Herzen liegen. Mit dem Thema „Ressourcenschutz“ sind wir inhaltlich schon ein­gestiegen. Ich möchte noch einige weitere Themen anschneiden: Wie lässt sich energie­effizientes Bauen – Ihrer Meinung nach – durch die technische Regelsetzung umsetzen und fördern?

Für das Thema Energieeffizienz gibt es einen baurechtlichen Rahmen. Die wesentlichen Vorgaben werden gerade im GebäudeEnergieGesetz (GEG) neu gefasst. Auch finanz- und steuerpolitische Anreize, wie die CO2-Besteuerung und staatliche Förderprogramme, sind wichtig, um dieses Ziel voranzubringen.

Das technische Regelwerk spielt derzeit eine eher untergeordnete Rolle. Technisch ist es schon seit mehr als 15 Jahren möglich, Plusenergiehäuser zu bauen. Das ist kein Geheimnis und inzwischen auch nicht mehr sonderlich teuer. Im Prinzip reicht eine Wärmepumpe und Photovoltaik auf dem Dach. In den Niederlanden sind Nullenergiehäuser sogar bereits verpflichtend.

Perspektivisch könnten aber auch bautechnische Innovationen dieses Ziel vorantreiben. Zum Beispiel werden Raumfahrtanzüge mit Aerogelen gedämmt, die aufgrund ihrer hervorragenden Dämmeigenschaften auch im Bauwesen verwendet werden können. Diese kosten natürlich immer noch deutlich mehr als herkömmliche Materialien, aber inzwischen auch „nur noch“ das Dreifache. Diese sind als mineralische Putze noch raumsparender als aktuell z.B. Vakuumisolierpaneele und lassen sich deutlich besser verarbeiten. Da sie sowohl für die Außen- als auch für die Innenanwendung infrage kommen, erscheinen sie wie gemacht für die energetische Ertüchtigung von Bestandsbauten, also dem Kern zur Zielerreichung eines klimaneutralen Gebäudebestandes.

Die Zustimmungen im Einzelfall der Länder und die allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungen des DIBt sind wichtige Instrumente, um solche Innovationen zu fördern. Der nächste Schritt wäre dann die Normung. Und schließlich – und so schließt sich der Kreis wieder – die Bezugnahme auf diese Normen in der bautechnischen Regelsetzung.

Als eine weitere Herausforderung für die FK Bautechnik nannten Sie, „die Maßstäbe für unterschiedliche Schadstoffe – wie z.B. Asbest und Radon – zu vereinheitlichen“. Wie könnte das aussehen?

Generell haben wir im Bauwesen das Problem, dass wir die tatsächlichen Einwirkungen nicht genau kennen. Wie viel Schnee und Wind muss ein Gebäudedach aushalten? Und wir wissen auch nicht genau, wie tragfähig das Bauteil – z.B. eine Stahlbetondecke oder ein Fenster – wirklich ist. Im Konstruktiven Ingenieursbau rechnen wir deshalb mit Eintrittswahrscheinlichkeiten. Darin impliziert ist eine akzeptierte Versagenswahrscheinlichkeit, sonst wird es unwirtschaftlich.

Dieser Ansatz aus der Standsicherheit müsste meiner Meinung nach auf den Gesundheitsschutz übertragen werden. Auch dort gibt es keine 100 %. Wir haben es hier mit einer zunehmenden Zahl an Gefahrstoffen zu tun, deren Gefährdungspotential jedoch sehr unterschiedlich ist. Eine einzelne Asbestfaser kann im schlimmsten Fall Krebs auslösen aber die Wahrscheinlichkeit ist verschwindend gering. Zumeist ist Asbest weniger gefährlich als Radon.

Letztlich soll dies ein Petitum für zweierlei sein: Einerseits brauchen wir – wie bei der Standsicherheit – auch im Gesundheitsschutz eine akzeptierte Versagenswahrscheinlichkeit, denn 100 % gibt es nicht. Zum anderen müssen wir nach diesem Maßstab alle Schadstoffe gleich bewerten.

Nun haben Sie bereits die Sicherheitstheorie gestreift. Die zweite Generation der Eurocodes soll ja bald kommen. Das DIBt wollte dazu eigentlich im November 2020 eine Konferenz anbieten, nun muss sie aus bekannten Gründen auf 2021 verschoben werden. Was ist für Sie die wesentliche Voraussetzung dafür, dass die sicherheitstheoretischen Konzepte der neuen Euro­codes auch in Deutschland angewendet werden können?

Die aktuellen Eurocodes basieren auf dem Teilsicherheitskonzept. Damit fußen sie eigentlich noch auf den sicherheitstheoretischen Grundlagen, die in Deutschland in den 1980er Jahren im Rahmen der GruSiBau, der Grundlagen zur Festlegung von Sicherheitsanforderungen für bauliche Anlagen, er­arbeitet wurden. Wie Ihr Präsident, Herr Breitschaft, es schon einmal anmerkte, haben wir derzeit ein wenig den Anschluss in Europa verpasst. Deshalb hat die FK Bautechnik neue Forschungsvorhaben zu sicherheitstheoretischen Überlegungen angestoßen, um bei den aktuellen Diskussionen eigene Impulse einzubringen.

Die Niederlande z.B. haben sich im Bereich Glasbau ein ganz neues, sauber hergeleitetes Sicherheitskonzept gegeben. Das ist einerseits begrüßenswert, andererseits aber auch ziemlich kompliziert! Persönlich bin ich überzeugt – und das wünsche ich mir auch von den Eurocodes –, dass wir neben den immer komplizierter werdenden softwaregestützten Nachweisverfahren, die für bestimmte Anwendungen fraglos ihre Berechtigung haben, wieder vereinfachte Nachweisverfahren brauchen, die für die meisten Anwendungen ausreichend wären.

Dass die Nachweisverfahren immer komplizierter werden, lässt sich meiner Meinung nach nicht zurückdrehen, und muss es auch nicht. Aber es sollte uns klar sein, dass komplizierte Nachweisverfahren ihre eigenen Risiken bergen. Oft ist selbst für den Ingenieur nicht genau nachvollziehbar, was da gerechnet wird. Umso notwendiger ist es, dass wir parallel vereinfachte Nachweisverfahren entwickeln, mit denen sich mal grob überschlagen lässt, ob das hinkommen kann.

Auch dazu soll es ein Forschungsvorhaben geben, was ich sehr begrüße. Und wir hoffen und wünschen uns natürlich, dass die Ergebnisse aus den aktuellen Forschungsvorhaben auch in die neue Generation der Eurocodes oder zumindest in die Nationalen Anhänge einfließen werden.

Bei den Stichworten in Ihrer Themenliste war auch eines dabei, dem man sonst im Bauwesen selten begegnet: Verbraucherschutz. Kommt ein neues Thema auf die FK Bautechnik zu?

Bei diesem Schlagwort habe ich an die Situation auf europäischer Ebene, also an das Bauprodukten­recht gedacht. Zu CE-gekennzeichneten Bauprodukten gibt es eine Leistungserklärung, in der auch ein Verwendungszweck angegeben ist. Damit das Produkt aber tatsächlich für diesen Zweck geeignet ist, wären oft mehr Leistungen erforderlich als ausgewiesen. Und das ist für mich ein ganz zentraler Punkt: Ich muss mich doch als Verbraucher darauf verlassen können, dass ein Bauprodukt, das nach Beschreibung für eine Verwendung XY vorgesehen ist, dafür auch geeignet ist. Aber genau das ist derzeit nicht gewährleistet. Das meine ich mit „Verbraucherschutz“. Wir argumentieren hier der Europäischen Kommission gegenüber damit, dass Bauprodukte auch von Endverbrauchern genutzt werden, die nicht vom Fach sind. Aber selbst die, die vom Fach sind, sind oftmals irritiert.

Andere Probleme kommen hinzu. In vielen Fällen ist der Anwendungsbereich der Norm nicht eindeutig gefasst, die Verweise in den Normen sind zum Teil widersprüchlich, die Nachweismethoden sind teilweise zu umfänglich oder aber auch nicht umfänglich genug. Dadurch kommt es vielfach zu Irritationen. Es muss klar sein, was die Produkte leisten und – und hier ist auch die FK Bautechnik gefragt – was sie leisten müssen.

Es besteht derzeit eine weitere erhebliche Rechtsunsicherheit im europäischen Bauproduktenbereich. Bei einer zunehmenden Anzahl von Normen sind die jeweils älteren Fassungen der Norm noch im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht, die bereits existierenden Neufassungen hingegen nicht. Einerseits sind somit die älteren Fassungen anzuwenden, weil nur sie im Amtsblatt bekanntgemacht sind. Andererseits handelt es sich bei den Neufassungen zumeist um anerkannte Regeln der Technik, deren Einhaltung demzufolge ebenfalls geschuldet ist, soweit nichts anderes vereinbart wurde. Auch zum Schutz der am Bau Beteiligten ist diese Situation, dieser Stillstand der europäischen Normung, schleunigst aufzulösen. Dies wird nur im konstruktiven Austausch zwischen der EU-Kommission, CEN und den Mitgliedstaaten gelingen. Der Bund hat bereits ankündigt, seine Ratspräsidentschaft in diesem Halbjahr nutzen zu wollen, um hier weiterzukommen.

Die Länder verhandeln gerade mit DIN über ein mögliches Vetorecht, wenn harmonisierte Normen nicht geeignet sind bauaufsichtliche Anforderungen nachzuweisen. Um dieses Vetorecht wahrzunehmen, müssten wir jedoch auch Vertreter in die entsprechenden Gremien entsenden können. Bei der extrem dünnen Personaldecke im Bereich der Bauaufsicht sehe ich da Probleme auf uns zukommen. Wir haben schon jetzt große Schwierigkeiten, wichtige interne Gremien zu besetzen. Das soll jetzt nicht entmutigend klingen, aber ich denke, es ist wichtig, dieses Problem offen zu kommunizieren und immer wieder darauf aufmerksam zu machen.

Vielen Dank für Ihre Offenheit. Erlauben Sie mir zum Abschluss noch eine eher persönliche Frage: Wer ist der Mensch, von dem Sie am meisten gelernt haben?

(Lacht) Muss ich einen nennen?

Sagen wir, zehn würden den Rahmen dieses Interviews sprengen …

Geprägt bin ich insbesondere durch meinen Professor für Stahlbau und Sicherheitstheorie, Herrn Professor Wolfgang Maier. Ich hatte schon immer eine Affinität zur Wahrscheinlichkeitsrechnung. Und die sicherheitstheoretischen Grundlagen, die ich bei ihm gehört habe, haben mein Denken nachhaltig beeinflusst. Ich habe Herrn Professor Maier nicht nur als Professor erlebt: Er hat mich auch an das Ingenieurbüro geholt, das ich später als Geschäftsführer geleitet habe. Und ich habe angefangen, bei ihm zu promovieren, auch wenn ich das nicht abgeschlossen habe. Diese analytische Herangehens­weise, das Denken in Eintrittswahrscheinlichkeiten und Schadensfolgen ist etwas, das sich durch meine gesamte berufliche Laufbahn zieht. Dieses Denken ist im Glasbau ganz besonders wichtig, da es hier keine plastischen Reserven gibt, um lokale Spannungsspitzen auszugleichen. Später habe ich Zustimmungen im Einzelfall für ungeregelte Bauprodukte bearbeitet, und auch hier hat sich das sicherheitstheoretische Gerüst, das ich mitbrachte, als sehr gute Schule erwiesen.

Wenn ich noch eine weitere Person nennen darf, dann wäre das mein damaliger Referatsleiter in Hamburg, Baudirektor Oliver Brune, der mich sehr gefördert hat. Das war eine überaus vertrauensvolle, konstruktive und Freude bereitende Zusammenarbeit, und er hat mich in meinem Tun bestärkt.

Gestatten Sie mir noch einen abschließenden Satz: Ich hatte zuvor problematisiert, dass sich die bauaufsichtliche Arbeit auf so wenige Schultern verteilt. Dies hat aber immerhin auch einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: man trifft in neuen Gremien immer wieder auf bekannte Gesichter, kennt sich also untereinander gut und unterstützt sich gegenseitig.

Vielen Dank für das Interview!

Zur Person

Martin Rücker ist seit 2015 Leiter des Referats Bautechnik, Bauwirtschaft und Vergabewesen im Ministerium für Inneres, ländliche Räume, Integration und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein. Zuvor war er u.a. für die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Referat Bautechnik der Freien Hansestadt Hamburg tätig und leitete als Geschäftsführer das M+W Ingenieurbüro für Konstruktiven Glasbau GmbH. Herr Rücker ist Mitglied in verschiedenen Normungsgremien und Sachverständigenausschüssen und nimmt seit September 2019 als Bundesratsvertreter an den Gesprächen der EU-Ratsarbeitsgruppe Technische Harmonisierung für den Bereich Bauprodukte teil.

Dipl.-Ing. Martin Rücker
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