Ein neues rechtliches Fundament für die Marktüberwachung
Kerstin Abend
Seit dem 16. Juli 2021 steht die Marktüberwachung von (harmonisierten) Bauprodukten auf einem neuen rechtlichen Fundament. Zu diesem Datum wurde die neue Marktüberwachungsverordnung (EU) 2019/1020 [1] vollständig wirksam. Flankierend trat das nationale Marktüberwachungsgesetz [2] in Kraft. Wir berichteten bereits in aller Kürze (Newsletter 3/2021). Mehr Hintergründe hat Ass. jur. Kerstin Abend in diesem Artikel für Sie zusammengestellt.
Die Marktüberwachungsverordnung – ein erweitertes und europaweit einheitliches Instrumentarium für die Marktüberwachungsbehörden
Die neue Marktüberwachungsverordnung (EU) 2019/1020 bezieht sich auf insgesamt 70 Produktsektoren, die von Harmonisierungsrechtsvorschriften der EU erfasst sind. Dazu gehören auch Bauprodukte nach der Bauproduktenverordnung (EU) Nr. 305/2011 [3]. Die Regelungen der Marktüberwachungsverordnung gelten in Verbindung mit der Bauproduktenverordnung, die in Artikel 56 geändert wurde.
Ziel der Verordnung ist es, die Marktüberwachung zu stärken und so besser zu gewährleisten, dass die auf dem Unionsmarkt bereitgestellten Produkte den geltenden gesetzlichen Anforderungen entsprechen, insbesondere im Hinblick auf Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz und andere öffentliche Schutzziele.
Gegenüber der Vorgängerverordnung – Verordnung (EU) Nr. 765/2008 [4] zur Marktüberwachung und Akkreditierung – wird das Instrumentarium der Marktüberwachungsbehörden in der aktuellen Verordnung schärfer gefasst und erweitert. Damit wird die Grundlage dafür geschaffen, die Verwaltungspraxis EU-weit zu vereinheitlichen und die Marktüberwachung wirksamer zu gestalten.
Die Marktüberwachungsverordnung bringt einige wesentliche inhaltliche Neuerungen mit sich:
Erweiterte Aufgaben für Wirtschaftsakteure
Bestimmte Produkte (hierzu zählen auch harmonisierte Bauprodukte) dürfen künftig nur in Verkehr gebracht werden, wenn der Marktüberwachung für die Produkte ein in der Union niedergelassener Wirtschaftsakteur als Ansprechpartner zur Verfügung steht. Ist ein Hersteller selbst in der Union niedergelassen oder gibt es einen Importeur bzw. im Wortlaut der Verordnung "Einführer", ist in der Regel entweder der Hersteller oder der Einführer Ansprechpartner für die Marktüberwachung. Gibt es für ein Produkt keinen Einführer mit Sitz in der Union (z.B. bei ausschließlichen Online-Angeboten aus einem Drittstaat), braucht der Hersteller nunmehr einen in der Union niedergelassenen Bevollmächtigten, der als Verbindungsstelle für die Marktüberwachung fungiert und die vorgeschriebenen Aufgaben für den Hersteller übernimmt (z.B. die Bereithaltung der Leistungserklärung und weiterer technischer Unterlagen). Notfalls werden auch Fulfilment-Dienstleister – siehe unten – für die von ihnen abgefertigten Produkte herangezogen, wenn sonst keine in der Union ansässige Person für das Produkt benannt wurde. Ein außerhalb der EU niedergelassener Hersteller, der weder einen Einführer noch Bevollmächtigten mit Sitz in der EU beauftragt, muss dann dafür sorgen, dass die notwendigen Unterlagen und Informationen über sein Produkt beim Dienstleister vorliegen [5].
Schaffung eines neuen Wirtschaftsakteurs: der Fulfilment-Dienstleister
Fulfilment-Dienstleister sind in der Verordnung definiert als natürliche oder juristische Personen, die im Rahmen einer Geschäftstätigkeit mindestens zwei der folgenden Dienstleistungen anbieten: Lagerhaltung, Verpackung, Adressierung und Versand von Produkten, an denen sie kein Eigentumsrecht haben. Damit reagiert der Gesetzgeber auf bisher vom Unionsrecht nicht erfasste Wirtschaftsaktivitäten. Gegenüber Fulfilment-Dienstleistern können Marktüberwachungsbehörden nun ebenfalls Durchsetzungsmaßnahmen ergreifen. Bestimmte Postdienstleistungen wurden dabei allerdings ausgenommen.
Ausweitung des Begriffs der "Bereitstellung auf dem Markt" in Bezug auf Online- und andere Fernabsatz-Angebote
Mit Blick auf die zunehmende Relevanz des digitalen Handels und Geschäftsverkehrs wurde der Begriff der "Bereitstellung auf dem Markt" erweitert. Bei online oder über eine andere Form des Fernabsatzes angebotenen Produkten ist eine Bereitstellung am Markt bereits gegeben, wenn sich ein Angebot an Endnutzer in der Union richtet, d.h. wenn der betreffende Wirtschaftsakteur seine Tätigkeiten in irgendeiner Weise auf einen Mitgliedstaat ausrichtet (z.B. über geografische Gebiete, in die geliefert werden kann oder über die für eine Bestellung verfügbaren Sprachen). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung eines Produkts durch die Marktüberwachungsbehörden dürfte dabei jedoch nicht der Zeitpunkt des Angebots im Internet, sondern der Moment der Abgabe des Produkts [6] sein.
Klar definierter Katalog an Befugnissen und Maßnahmen für die Marktüberwachungsbehörden
Die neue Marktüberwachungsverordnung stellt klar, dass die einschlägigen Behörden im Rahmen ihrer Tätigkeit umfangreichen Zugang zu Informationen – auch in elektronischer Form, einschließlich des Zugriffs auf eingebettete Software – von den Wirtschaftsakteuren verlangen dürfen. Hierzu zählen neben relevanten Dokumenten über technische Aspekte des Produkts auch Informationen zur Lieferkette, zu Details des Vertriebsnetzes und zu Produktmengen auf dem Markt.
Zudem haben Marktüberwachungsbehörden die Befugnis, unangekündigte Inspektionen vor Ort und physische Überprüfungen von Produkten durchzuführen und dazu Räumlichkeiten, Grundstücke oder Beförderungsmittel zu betreten, die der Wirtschaftsakteur im Zusammenhang mit seiner gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit nutzt.
Neu ist dabei, dass die Marktüberwachungsbehörden Produktproben unter falscher Identität erwerben, überprüfen und im Wege der Nachkonstruktion (reverse engineering) analysieren dürfen.
Die Möglichkeiten der Marktüberwachungsbehörden, auf online bereitgestellte Informationen zu Bauprodukten einzuwirken, wurden erweitert. Beispielsweise können die Behörden die Löschung oder die Schaltung von Warnhinweisen verlangen – und diese ggf. auch über den Plattformbetreiber oder einen anderen Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft durchsetzen.
Hinzugekommen ist auch die Befugnis, Ermittlungen auf eigene Initiative der Marktüberwachungs-behörde einzuleiten.
Der "Maßnahmenkatalog", der den Marktüberwachungsbehörden zur Verfügung steht, um auf festgestellte Nichtkonformitäten (z.B. Nichterbringung der erklärten Leistung) zu reagieren, reicht – im Großen und Ganzen wie bisher - von der Aufforderung an den Wirtschaftsakteur, freiwillig Korrekturmaßnahmen zu ergreifen über die Untersagung oder Beschränkung der Bereitstellung auf dem Markt bis zu Anordnungen, das betroffene Produkt vom Markt zu nehmen oder zurückzurufen.
Neuer Informationsanspruch von Wirtschaftsakteuren
Wirtschaftsakteure haben einen neuen Informationsanspruch gegenüber der Europäischen Kommission und den Produktinformationsstellen. Die Kommission soll über das Portal "Your Europe" Nutzern einen einfachen und zentralen Online-Zugang zu Informationen über die Produktanforderungen und die Rechte, Pflichten und Bestimmungen im Zusammenhang mit den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union bieten. Die Mitgliedstaaten stellen ihrerseits Informationen über die einzelstaatliche Umsetzung und Durchführung der für ein Produkt geltenden Harmonisierungsrechtsvorschriften unentgeltlich zur Verfügung. Die Produktinformationsstelle für das Bauwesen – Deutschland etwa hält umfassende Informationen über die Bauproduktenverordnung (EU) Nr. 305/2011 bereit. Dort finden sich auch Hinweise auf SOLVIT, ein Problemlösungsinstrument der EU, das bei Differenzen über die korrekte Anwendung von Unionsvorschriften zur Verfügung steht.
Arbeitsweise der Marktüberwachungsbehörden
Weiterhin agieren die Marktüberwachung im Bauprodukte-Bereich auf Grundlage eines risikobasierten Ansatzes, der gut etabliert ist. Die bewährte Zusammenarbeit mit den Zollbehörden wird ebenfalls fortgesetzt.
Neu für die Marktüberwachungsbehörden ist hingegen, dass die aktuell noch sektorspezifischen Marktüberwachungsprogramme – erstmals zum 16. Juli 2022 – in eine übergreifende nationale Marktüberwachungsstrategie überführt werden. In Deutschland geschieht dies weiterhin auf der Grundlage branchenbezogener Strategien.
Verschiedene Maßnahmen sollen zudem zu einer weiteren Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Marktüberwachungsbehörden beitragen. Neben den bereits gut etablierten sektorspezifischen Gruppen zur administrativen Zusammenarbeit (AdCo), wurde beispielsweise auf Grundlage der Verordnung ein "Unionsnetzwerk für Produktkonformität" eingerichtet, das über alle Produktgruppen hinweg eine strukturierte und koordinierte Zusammenarbeit zwischen den vollziehenden Behörden der Mitgliedstaaten und der Kommission unterstützen soll.
Zur effizienteren Durchsetzung der Marktüberwachung soll künftig auch beitragen, dass Nichtkonformitäten von Produkten grundsätzlich als in allen Mitgliedstaaten gegeben gelten, sobald sie von der Marktüberwachungsbehörde eines Landes festgestellt wurden.
Das bestehende, unionsweite Informations- und Kommunikationssystem in der Marktüberwachung (ICSMS) wurde weiterentwickelt und ausgebaut. Erweiterten Zugang zu dem System haben –behördenintern – die Marktüberwachungsbehörden, Zollbehörden und die Kommission. Der Allgemeinheit werden wesentliche Informationen über eine öffentliche Benutzerschnittstelle zur Verfügung gestellt.
Nationale Durchführungsregelungen
Auf Bundesebene wird die Marktüberwachung erstmals durch ein eigenständiges Gesetz geregelt.
Das Marktüberwachungsgesetz vom 9. Juli 2021 enthält bundesweite Regelungen zur Durchführung der Verordnung (EU) 2019/1020, die gemäß Verordnung von den Mitgliedstaaten zu erlassen sind. Hierbei handelt es sich vornehmlich um die Bestimmung der zuständigen Behörden für die Einfuhr von Drittstaatenprodukten (Zollbehörden), die Übertragung von Befugnissen an die Marktüberwachungsbehörden sowie Regelungen zu Sanktionen und Kostenerstattungen. Aufgrund der parallelen Geltung des Gesetzes für diverse Produktbereiche werden allerdings auch sektorspezifische Besonderheiten aufgegriffen, die für die Marktüberwachung harmonisierter Bauprodukte nicht einschlägig sind (z.B. das Ausstellen von Produkten zu Zwecken der Werbung). Zusätzlich schließt das Marktüberwachungsgesetz die Marktüberwachung von Produkten nach der allgemeinen Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG [7] ein. Nach den Vorgaben des Marktüberwachungsgesetzes wurde außerdem ein Deutsches Marktüberwachungsforum eingerichtet, das als nationales Spiegelgremium für das "Unionsnetzwerk für Produktkonformität" dienen soll.
Die allgemeinen Vorschriften zur Marktüberwachung wurden in Folge aus dem Produktsicherheitsgesetz [8] gestrichen. Auch § 5 des Bauproduktengesetzes [9], der für die Marktüberwachung harmonisierter Bauprodukte auf Teile des Produktsicherheitsgesetzes verwies, konnte entfallen.
Als nächster Schritt steht nun noch die Anpassung der länderrechtlichen Zuständigkeitsregelungen zur Marktüberwachung an. Dazu haben die Gremien der Bauministerkonferenz bereits Anpassungen am Muster-Marktüberwachungsverordnungs-Durchführungsgesetz (M-MÜVDG) beschlossen, die noch in Landesrecht umgesetzt werden müssen.
Verweise
[1] Verordnung (EU) 2019/1020 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über Marktüberwachung und die Konformität von Produkten sowie zur Änderung der Richtlinie 2004/42/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 765/2008 und (EU) Nr. 305/2011; Amtsblatt der Europäischen Union, L 169/1 vom 25.06.2019
[2] Marktüberwachungsgesetz vom 9. Juni 2021 (BGBl. I S. 1723)
[3] Verordnung (EU) Nr. 305/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 89/106/EWG des Rates; konsolidierte Fassung vom 16. Juli 2021
[4] Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 339/93 des Rates; in der bis zum 16. Juli 2021 geltenden Fassung; Amtsblatt der Europäischen Union, L 218/30 vom 13.8.2008
(Konsolidierte Fassung:) Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 339/93 des Rates; in der ab dem 17. Juli 2021 geltenden Fassung vom 16.07.2021
[5] Leitlinien für Wirtschaftsakteure und Marktüberwachungsbehörden zur praktischen Umsetzung von Artikel 4 der Verordnung (EU) 2019/1020 über Marktüberwachung und die Konformität von Produkten, Europäische Kommission vom 5.03.2021, C(2021) 1461 final
[6] Dr. Carsten Schucht, Sollbruchstellen in der neuen EU-Marktüberwachungsverordnung, EuZW 2020, S. 554 (555f.)
[7] Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Dezember 2001 über die allgemeine Produktsicherheit, konsolidierte Fassung vom 1.1.2010
[8] Produktsicherheitsgesetz vom 27. Juli 2021 (BGBl. I S. 3146, 3147), das durch Artikel 2 des Gesetzes vom 27. Juli 2021 (BGBl. I S. 3146) geändert worden ist
[9] Bauproduktengesetz vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2449, 2450), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 27. Juli 2021 (BGBl. I S. 3146) geändert worden ist