Neuerungen bei der Nachweisführung für Gärfutterhochsilos und Güllebehälter aus Stahl
Johanna Held, DIBt
Seit der landesrechtlichen Umsetzungen der MVV TB 2019/1 änderten sich die Modalitäten für den Nachweis der Standsicherheit bei Gärfutterhochsilos und Güllebehältern aus Stahl. Die Bemessung ist nun nur noch nach den einschlägigen Teilen des Eurocodes 3 für die Bemessung und Konstruktion von Stahlbauwerken möglich. Die Möglichkeit einer Bemessung nach DIN 11622-4 wurde gestrichen. Damit wird Entwicklungen bei der Konstruktion der Behälter sowie neuen Erkenntnissen zum Stand der Technik Rechnung getragen.
Erstmals seit Inkrafttreten der Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (AwSV) konnte zudem unter Berücksichtigung der wasserrechtlichen Anforderungen eine allgemeine Bauartgenehmigung für einen Flüssigkeitsbehälter aus verschraubten Stahlblechen auf einer Stahlbetonsohle zur Lagerung von Jauche, Gülle und Silagesickersäften (JGS) erteilt werden.
Bemessung: Streichung von DIN 11622-4 in MVV TB 2019/1
DIN 11622-4:1994-07 "Gärfuttersilos und Güllebehälter – Teil 4: Bemessung, Ausführung, Beschaffenheit; Gärfutterhochsilos und Güllehochbehälter aus Stahl" behandelt Silos und Behälter aus verschraubten Stahlblechen, die auf einer Stahlbetonsohle errichtet werden. Sie verweist auf die zurückgezogenen Normen der DIN 18800er Reihe sowie auf DIN 18914. Die Norm wurde mit Ausgabe 2019/1 aus der Muster- Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB, vormals lfd. Nr. A 1.2.8.6) gestrichen.
Gründe für die Streichung
Die Regelungen in DIN 11622-4 konkurrieren mit den einschlägigen, bauaufsichtlich eingeführten Teilen des Eurocodes 3 "Bemessung und Konstruktion von Stahlbauwerken", DIN EN 1993-4-1 für die Bemessung von Gärfuttersilos und DIN EN 1993-4-2 für die Bemessung von Güllebehältern. Die Bemessung nach DIN 11622-4 führt im Vergleich zur Bemessung nach Eurocode 3 zu deutlich dünneren Blechdicken der Strukturen.
Für die Bemessung von Güllebehältern gibt DIN 11622-4 in Abschnitt 4.2.2 Konstruktionshinweise und Formeln an, bei deren Anwendung auf den Nachweis der Beulsicherheit des Behälters verzichtet werden durfte.
Die Formeln gehen auf Versuche an offenen Behältern (Behälter ohne Dach) zurück. Für offene Behälter mit Ringsteifen galt das lokale Umfangsbeulen (Beulen zwischen zwei Ringsteifen) in Folge von Außendruck (Windeinwirkung) als maßgebend. Das Beulbild zwischen den Ringsteifen setzt sich aus vielen nebeneinander angeordneten elastischen Beulen zusammen, die nach Rückgang der Einwirkung wieder in ihre ursprüngliche Lage zurückspringen. Die globale Beulsicherheit (Beulen der gesamten Zylinderschale samt der Ringsteifen) wurde durch entsprechend beschaffene Ringsteifen sichergestellt. Damit wurde in der Vergangenheit dem Umstand Rechnung getragen, dass die lokale Beulsicherheit der Schale repräsentativer Konstruktionen rechnerisch nicht nachweisbar ist.
Aus Versuchen an offenen Behältern hergeleitet berücksichtigen die Formeln aus DIN 11622-4, Abschnitt 4.2.2 naturgemäß keine Einwirkungen aus dem Dach. Behälter werden heute in der Regel aus immissionsschutzrechtlicher Veranlassung mit einem Dach ausgestattet und erfahren so zusätzlich zum Außendruck (Wind) auch den Axialdruck (Dacheigengewicht, Schnee, Unterdruck). Bei dieser Lastkombination überlagern sich die beiden elementaren Schalenbeulfälle. Wirkt ein lokal begrenzter Außendruck (Umfangsbeulen) mit einem erhöhten Axialdruck im Mantel (Meridianbeulen) zusammen, kann dies zu einem globalen Versagen führen. Die Eintrittswahrscheinlichkeit ist dabei abhängig vom Ausnutzungsgrad der Beulnachweise. Für die Stabilität der Schale ist der Interaktionsnachweis in der Regel bemessungsbestimmend.
Ringsteifen haben traglaststeigernde Effekte. Aktuelle Forschungen von Jäger-Cañás belegen diese jedoch nur für eng ringversteifte Zylinderschalen mit einem Steifenabstand zwischen 1,73 · (r · t )½ und 3,46 · (r · t)½ [1]. Bei den heute gängigen Konstruktionen werden Ringsteifen in der Regel mit einem Abstand von > 1,0 m ausgeführt. Ob hier ein traglaststeigernder Einfluss wirksam wird, ist nicht erwiesen.
Somit steht DIN 11622-4 nicht länger als Technische Baubestimmung zur Verfügung. Die Bemessung von Gärfuttersilos und Güllebehältern erfolgt nunmehr ausschließlich nach Eurocode 3.
Bauartgenehmigungen für JGS-Behälter
Seit dem Inkrafttreten der Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (AwSV) im Jahr 2017 werden an Flüssigkeitsbehälter aus verschraubten Stahlblechen, die auf einer Stahlbetonsohle errichtet werden und der Lagerung von Jauche, Gülle und Silagesickersäften (JGS) dienen, zusätzlich zu bauordnungsrechtlichen Anforderungen auch wasserrechtliche Anforderungen gestellt.
Es gilt damit eine bewährte Bauweise neu zu bewerten und nachweislich für die landwirtschaftliche Nutzung zu qualifizieren. Im Rahmen einer allgemeinen Bauartgenehmigung gelang es bereits, die Eignung einer verschraubten Stahlwand, deren Blechstöße und Anschlussfuge zur Stahlbetonsohle mit einem polymeren Dichtstoff abgedichtet sind, als eine im wasserrechtlichen Sinne flüssigkeitsdichte Primärbarriere nachzuweisen, die für die Dauerbeaufschlagung durch das Medium geeignet ist.
Verweise
[1] Jäger-Cañás, Andreas; Pasternak,Hartmut: “On the axial buckling of very thin-walled cylindrical shells”, Kopenhagen: Eurosteel 2017, 2017.